Nach zwei Erholungstagen von der Story denke ich, ich bin nun doch zu einer konstruktiven (und spoilerfreien) Kritik fähig. Es sei jedoch angemerkt, dass ich das Spiel nur aufgrund des ersten und einzigen Spieldurchganges bewerte, der 1999-Modus und allfällige Gameplay-Änderungen in diesem werden von mir nicht berücksichtigt.
Story
Bringen Sie uns die Kleine und tilgen Sie die Schuld. Dieser Satz zieht sich wie ein roter Faden durch das ganze Spiel und bis zum Ende ist unklar, was das eigentlich zu bedeuten hat. Und doch ist dieser Satz ausschlaggebend für die große, verwirrende Handlung von BioShock Infinite. Es ist natürlich klar, dass unter der Leitung von Ken Levine eine Geschichte mit unglaublichen Storywendungen entstanden ist. Das war bereits im ersten BioShock von 2007 so und das ist nun auch bei Infinite nicht anders. Doch gerade im Vergleich mit dem ursprünglichen BioShock hat Infinite nochmal gehörig einen drauf gelegt.
Auf den ersten Blick scheint sich die gesamte Handlung um die fliegende Stadt Columbia zu drehen. Doch der Spielcharakter Booker DeWitt zeigt sich davon überraschend unbeeindruckt und so wird schnell klar, dass sich die eigentliche Handlung nicht um Columbia, sondern um das geheimnisvolle Mädchen Elizabeth dreht. Diese ist Dreh- und Angelpunkt der gesamten Geschichte von BioShock Infinite und dementsprechend lange Zeit ein einziges Mysterium. Über die ganze Handlung hinweg werden immer mehr Fragen aufgeworfen und kaum eine beantwortet, immer mehr Variablen kommen hinzu.
Und dann, am Ende des Spiels, erwartet den Spieler eine Auflösung der Geschichte wie er sie noch nie gesehen hat. Es sei hier nun natürlich nichts darüber verraten, doch soviel ist gewiss: BioShock Infinite hat eine derart verrückte und zugleich eingängliche Handlung, dass der Spieler sich nach deren Abschluss unfreiwillig extrem viele Gedanken darüber macht. Solange, bis es irgendwann versteht. Und dafür hat Ken Levine und sein Team bei Irrational Games die höchstmögliche Achtung verdient.
Gameplay
Natürlich funktioniert die Geschichte eines Videospiels jedoch nicht wirklich, wenn das Gesamtpaket nicht stimmt. Glücklicherweise ist auch dieses bei Infinite stimmig und packend. Im Grunde spielt sich das Spiel wie viele typischen Shooter der heutigen Zeit. Doch vier ganz besondere Aspekte sorgen dafür, dass BioShock Infinite ein einzigartiges Gameplay aufweisen kann.
Der erste Aspekt sind die elementaren Fähigkeiten, welche Booker mit der linken Hand ausüben kann. Denn während der Herr in der rechten Hand seine gewöhnlichen Waffen wie Pistole, Maschinengewehr, Schrotflinte oder sogar schwere Geschütze wie Minigun und Panzerfaust hält, kann er mit der linken Hand im Verlauf des Spiels bis zu acht unterschiedliche Fähigkeiten erlernen. Er schießt Feuerbälle, Blitze und Druckwellen, sendet einen Rabenschwarm zu seinen Feinden oder zieht diese mit einem Wassertentakel zu sich heran, um ihnen anschließend mit einer gezielten Schrotladung den Rest zu geben. Schnell findet jeder Spieler seinen ganz persönlichen Waffen- und Kampfstil, den er dann an Automaten auch weiter ausbauen kann.
Ein weiteres einzigartiges Gameplay-Element sind die sogenannten Skyrails, Schienen am Himmel, mit welchen sich Booker durch die Stadt bewegen kann. Um dies zu ermöglichen erhält er am Anfang des Spiels einen Skyhook, welcher zugleich für spektakuläre Nahkampfkills eingesetzt werden kann. Doch auch direkt von den Skyrails aus weiß sich der Mann zu verteidigen und kann während der rasanten Achterbahnfahrten nicht nur fröhlich weiterballern, sondern auch direkt einen sich am Boden befindenden Gegner anvisieren und diesen dann wie ein gewisser Assassine direkt aus der Luft heraus erledigen.
Doch die Fähigkeiten und Skyrails sind nur die Spitze des Eisberges, denn das wahre Highlight von BioShock Infinite ist Elizabeth, welche Booker fast durch das gesamte Spiel begleitet. Zwar kämpft sie nicht direkt mit und hat auch keine Ahnung im Umgang mit Waffen, doch zeigt sie sich in jeder anderen Hinsicht hilfreich. Sie versorgt Booker oft im passenden Moment mit allem, was er gerade benötigt. Die Munition ist alle? Kein Problem, schon ist Elizabeth zur Stelle und wirft Booker ein neues Magazin zu. Bookers Gesundheits- oder Salzenanzeige (eine Art Mana) nähert sich dem gefährlich niedrigen Bereich? Sanitäterin Elizabeth eilt herbei und hilft aus. Und wenn der Spieler dann doch mal das Zeitliche segnen sollte, wird er von Elizabeth gegen einen gewissen Geldaufpreis wiederbelebt.
Doch damit ist die große Bandbreite von Elizabeths Nützlichkeit noch lange nicht abgedeckt. Das mysteriöse Mädchen verfügt zusätzlich auch noch über die besondere Fähigkeit, eigenartige Risse zu öffnen. Diese sind immer über die Schlachtfelder verteilt und können die unterschiedlichsten Wirkungen erzielen. Hier eine zusätzliche Deckung, da ein Geschütz, dort ein mechanischer Begleiter. Die Risse sind immer besonders hilfreich und daher ein Feature, auf welches man nicht verzichten möchte. Damit es dann nicht doch zu leicht wird kann Elizabeth nie mehr als einen Riss auf einmal öffnen. Übrigens zeigt sich die Dame auch außerhalb der Kämpfe hilfreich. Immer wieder findet sie Geld für Booker, macht ihn auf einsammelbare Goodies aufmerksam oder öffnet ihm mithilfe von Lockpits verschlossene Türen.
Man lernt Elizabeth bereits nach kurzer Zeit ganz schnell liebhaben und möchte sie am liebsten gar nicht mehr hergeben. Doch das ist ab und an leider unvermeidbar und macht dann auch auf die Schwächen von BioShock Infinite aufmerksam. Denn sobald Elizabeth gerade nicht da ist und auch keine Skyrails in der Nähe sind verkommt das Spiel zu einem gewöhnlichen Allerwelts-Shooter, wie man ihn schon oft gesehen hat. Glücklicherweise ist dies aber selten der Fall und so hat man stets bereits nach kurzer Zeit seine liebgewonnenen Features zurück.
Technik
Auch grafisch macht BioShock Infinite einen beeindruckenden Job. Besonders zu Beginn des Spiels bietet Columbia atemberaubende Panoramabilder und eine wunderschöne Spielwelt. Später lässt dieser Effekt zwar aufgrund der vorangetriebenen Handlung und deren Auswirkungen auf die Stadt etwas nach, grafisch bleibt Infinite jedoch stets auf sehr hohem Niveau. Man muss allerdings sagen, dass sich nicht wenige Objekte als matschige, falsche Texturen entpuppen wenn man nur nah genug herangeht. Doch bleiben wir fair: Bei welchem Spiel ist das nicht der Fall?
Musikalisch lässt Infinite ebenfalls keine Wünsche offen. BioShock-typische Violinenlieder wechseln sich immer wieder mit zur Stimmung passenden Tracks ab. Irrational Games hat es sich auch nicht nehmen lassen und zahlreiche gesungende Lieder eingespielt. Das absolute Highlight davon ist ein kleiner optionaler Song, welchen Booker und Elizabeth im Verlauf des Spiels selbst "performen". Die Lieder sind übrigens alle nicht ins Deutsche synchronisiert worden, sondern nur im englischen Original zu hören.
Dafür ist der Rest des Spiels komplett eingedeutscht worden, und das auf grandiose Art und Weise. Wie immer weiß 2K Germany, wie eine deutsche Sprachausgabe sich anhören muss. Nachdem sie schon in den vorherigen BioShock-Teilen sowie auch der Borderlands-Reihe für eine tolle Eindeutschung gesorgt hatten, haben sie sich mit BioShock Infinite nun selbst übertroffen. Die deutschen Sprecher stehen den englischen in überhaupt gar nichts nach und machen zu jeder Zeit einen absolut tollen Job.
Man kann Infinite leider jedoch nicht in jeder Hinsicht loben. Denn ein echter Stimmungskiller ist die technische Darstellung vom Spielcharakter Booker. Gerade wenn man einen Charakter so konzipiert, dass man ihn während des gesamten Spiels nur aus der Ego-Perspektive kennt, dann ist es ein absolutes No-Go, wenn dieser Charakter technisch nur minimal umgesetzt wurde. Booker verfügt über keinen Körper oder zumindest Beine, wenn der Blick zum Boden unter dem Spieler wandert. Auch wirft der Mann nie einen Schatten und ebenso sieht man seine linke Hand mit dem Skyhook nicht, wenn er an einer Skyrail entlang gleitet.
Steht Booker frontal vor einen Dia-Projektor, werden dessen Bilder nicht verdeckt sondern leuchten auf der Leinwand unbeeinflusst weiter. All das vermittelt den Eindruck, als wäre Booker nichts weiter als ein Geist oder eine Art fliegende Kamera mit Händen. Sowas war technisch vor einigen Jahren vielleicht noch akzeptabel, mittlerweile sollten die Entwickler diese "Faulheit" allerdings allesamt überwältigen und Hauptcharakteren in Ego-Shootern richtige Modelle geben. Dead Island beispielsweise hat das schließlich auch geschafft.
Pros und Kontras
+ Tolle, frische Gameplay-Elemente
+ Sehr hübsche Grafik
+ Interessante, einzigartige Spielwelt
+ Stets passende Musikuntermalung
+ Grandiose deutsche Sprachausgabe
+ Kluge Elizabeth-KI
+ Überwältigendes Handlungsfinale...
- ...welches jedoch nicht jeder gleichgut verarbeiten kann.
- Unzeitgemässe Arbeit bei Bookers Charaktermodell
- Ohne Elizabeth und die Skyrails verliert Infinite seine besonderen Features
Fazit und Wertung
Zu Beginn meiner Reise nach Columbia war ich begeistert. Die fliegende Stadt wirkte großartig, die Geschichte um Booker und Elizabeth begann interessant und überhaupt war das Spiel anfangs über fast jeden Zweifel erhaben. Mit zunehmender Spielzeit nutzte sich dieser Effekt leider etwas ab und die Handlung entwickelte sich immer verrückter weiter. Das Ende von BioShock Infinite schließlich ist so einzigartig und anders, dass ich mich erst wieder sammeln musste ehe ich eine objektive Meinung abgeben konnte.
Auch jetzt tue ich mir noch schwer, die Geschichte in all ihren Eigenarten zu verstehen, doch das ist keineswegs im negativen Sinne zu verstehen. Viel eher hinterfragt Infinite gekonnt alles, was Spieler über Videospiele und deren Geschichten zu glauben wissen. Jedoch kommt diese geballte Ladung an Überwältigung derart unerwartet, dass man sich als Spieler unfreiwillig viele Gedanken darüber macht. Und das kann durchaus etwas sein, was nicht jeder Mensch gleichgut verarbeiten kann.
Die absolut einzigartige Handlung, die (größtenteils) tolle Technik und die grandiose deutsche (und natürlich auch englische) Sprachausgabe sorgen gemeinsam mit den frischen Gameplay-Elementen wie Elizabeths Fähigkeiten sowie Unterstützung, den Skyrails und den elementaren Fähigkeiten Bookers dafür, dass sich wirklich jeder Spieler mit BioShock Infinite auseinandersetzen sollte. Grandiose Arbeit, Irrational Games und 2K. Und auch grandiose Arbeit, 2K Germany.
Eine 10/10 kann ich nicht geben, denn kleinere Schwächen halten mich davon ab, BioShock Infinite als perfektes Spiel zu betrachten. Auch wird Infinite nicht mein persönliches Spiel des Jahres, denn dafür war ich mit gut 10-12 Stunden trotz fleißiger Suche nach Nebenaufgaben zu schnell durch und der 1999-Modus macht mich nicht wirklich an. Dennoch gebe ich BioShock Infinite eine
9/10, denn die überwältigende Geschichte hat mich gemeinsam mit der stimmigen Technik wirklich zum Nachdenken gebracht. Und dafür gebührt jedem einzelnen beteiligten Mitwirkenden des Spiels eine Menge Respekt.