Das hat weniger mit Ungerechtigkeit und Doppelmoral zu tun als mit den starren Geschlechterrollen, bei denen niemand weiß, wie er mit Ausfällen darauf reagieren soll. Was man in dem Video sieht, ist genau sowas: Im Geschlechterbild, dass so gut wie alle Menschen tief in sich verankert haben, ist Dominanz von Männern über Frauen richtig und notwendig (egal jetzt, in welchem Bereich). Männer müssen permanent ihr "Mann-Sein" (eben das, was allgemein als dieses betrachtet wird) unter Beweis stellen und dazu gehört auch die Dominanz über die Frau. Frauen müssen ebenfalls in ihre Rolle passen und dazu gehört, sich vom Mann dominieren zu lassen. Achtung, das sind jetzt alles Verallgemeinerungen, die allerdings so fast überall auftreten, einfach aufgrund der festgefahren Meinung "So und so hat ein Geschlecht zu sein".
Da also die Dominanz des Mannes über die Frau quasi "normal" ist und eben zum "Mann-Sein" dazugehört, wundert sich kaum mehr jemand, wenn sowas auch auf offener Straße passiert, und es kann entsprechend reagiert werden. All das, was im ersten Teil des Videos passiert, sind erlernte Muster und jeder fühlt sich in erlernten Mustern wohl, weil man weiß was zu tun ist. Tritt nun aber etwas außerhalb der gewohnten, erlernten Muster (sprich, der gewohnten Geschlechterrollen) auf, dann weiß erstmal niemand, was er tun soll.
Das ist vergleichbar mit einem Unfall. Sagen wir mal, du bist mit einem Kumpel unterwegs, der fällt hin und bricht sich den Arm. Das eine Situation außerhalb des gewohnten Rahmens und ich schätze, du wärst erstmal überfordert und wüsstest nicht genau, was zu tun ist. Anders bei einem Arzt. Er wüsste in der Regel gleich, wie er sofortige Erste Hilfe leisten könnte und würde ruhig bleiben, weil es eben in sein erlerntes Muster passt.
Wenn die Frau nun also öffentlich Dominanz gegen den Mann ausübt ist das etwas, was nicht in das gewohnte Bild passt und niemand weiß, was zu tun ist, und wie Menschen so sind, tun sie erstmal lieber nichts. Oder sie kämpfen dagegen an, wie bei z.B. Transgendern der Fall. Einige menschen kommen mit neuen Konfrontationen besser klar als andere, deswegen ist es einigen Menschen wirklich egal, dass es eben Transgender gibt, andere stellen sich auf die Barrikaden und schreien Parolen, aber eigentlich wissen sie nicht genau, wieso. Der Grund wieso: Weil sie nicht wissen, wie sie anders damit umgehen sollen. (Natürlich gibt es auch einige, die sowas ganz instinktiv ekelhaft finden, dürfte man meinen, aber auch Ekel ist erlernt.)
Jedenfalls lässt sich diese Doppelmoral, wie du es nennst, ablegen, aber dafür müsste man extrem festgefahrene Muster durchbrechen, was auch gerade im Prozess ist, aber noch sehr, sehr lange dauern dürfte. Es ist leider immer noch so, dass viele Menschen eher nach ihrem Geschlecht und ihrer Sexualität beurteilt werden als nach dem, dass sie ein Mensch sind und was für einer.