Während wir uns im wirklichen Leben noch vor dem fürchten, was Margaret Atwood in ihrem Science-Fiction-Roman Der Report der Magd beschrieben hat -- dem Heraufziehen eines religiös fundamentalistisch-totalitären Staates in Nordamerika nämlich --, ist die Fantasie der kanadischen Autorin schon in der Zeit der
Katastrophe danach, der wahrhaft absoluten gesellschaftlichen und ökologischen Apokalypse angekommen: Die heutigen Klimaszenarien haben sich allesamt als zu optimistisch erwiesen. Die großen Metropolen sind
sämtlich versunken, und unter den extremen Umweltbedingungen können nur noch "Menschen" eines gentechnisch veränderten Typs bestehen. Geradenoch der nicht ganz unbeschädigte Jimmy ist ein Mensch, wie wir ihn kennen. Aus seiner nicht ganz lückenlosen Erinnerung rekapituliert er für uns die Zeit des Untergangs. Und was wir da über diese Zeit erfahren, liest sich als erschreckend konsequente Fortschreibung dessen, was sich heute am Horizont als durchaus reale Möglichkeit abzeichnet.
Da sind die besonders gesicherten Siedlungen der Privilegierten, für deren medizinische Versorgung gesorgt ist und die sich -- dem Wohlwollen der sie unterhaltenden Biotech-Firmen ausgeliefert -- noch satt essen
können. Außerhalb der gesicherten Camps liegt das verbotene Land der Armen. In den firmengesponserten Camps aber arbeitet man -- allen voran Jimmys Freund Crake -- an der gentechnischen Verbesserung des von Natur aus so unzulänglichen Menschen. Doch was dabei herauskommt, ist das blanke Grauen. Margaret Atwoods Oryx und Crake gehört in eine Reihe mit Carl Amerys Der Untergang der Stadt Passau. Lesenswert auch dann, wenn man ansonsten vielleicht nicht allzu viel mit dem Science-Fiction-Genre anzufangen weiß. --Andreas Vierecke
Kurzbeschreibung
In einem Roman von enormer Kraft und Ausstrahlung blickt Margaret Atwood in eine Zukunft, die sehr viel näher liegt, als man gerne glauben würde. Es ist eine Zukunft der Umweltkatastrophen. Die Menschheit hat,
da die Meere dramatisch angestiegen sind, ihre großen Küstenstädte verloren. New New York ist in großer Entfernung von den drohenden Wassern des Atlantik neu erbaut worden. Die unglückliche neue Welt der
Vereinigten Staaten besteht aus einer zweigeteilten Gesellschaft: den wenigen Privilegierten, die in streng bewachten Industriekomplexen leben, und den Massen, die in verfallenden Städten hausen. Oryx und
Crake spielt in einem dieser Komplexe, einer Forschungsinstitution, in der Crake, ein Genie genetischer Manipulation, an der Entwicklung neuer Medikamente arbeitet, welche die Menschheit gegen die Epidemien im Gefolge der Umweltkatastrophen immunisieren sollen, aber er verfolgt darüber hinaus ganz eigene Pläne ... Wie der berühmte Report der Magd, dessen Bild eines neuen Fundamentalismus sich heute wie eine
Prophezeiung liest, ist Oryx und Crake ein wundervoll intelligenter Blick in die Zukunft, und seine Schilderung des Wettlaufs gegen den Untergang der Menschheit macht ihn zu einem Roman von fast unerträglicher Spannung. Oryx und Crake ist reine Brillanz.