"37°" begleitet Bewohner des ersten sogenannten Demenzdorfes in Deutschland über ein halbes Jahr, erzählt ihre persönlichen Geschichten und die ihrer Angehörigen.
Die Menschen, die in Tönebön leben, verstehen die Welt nicht mehr. Zur Philosophie des Hauses gehört, sie nicht andauernd mit dem Verlust ihrer Erinnerung und des Denkvermögens zu konfrontieren, sondern sie zu Selbständigkeit zu motivieren.
Es begann schleichend: Sie verlegte Kreditkarten, ließ Essen auf dem Herd anbrennen und vergaß, wo sie ihr Fahrrad abgestellt hatte. Mit 50 Jahren bekam Barbara Thiede dann die Diagnose: Alzheimer. Irgendwann konnte sie den Alltag mit ihrer gerade erwachsen gewordenen Tochter nicht mehr bewältigen; selbstbestimmt leben wollte sie trotzdem. So fand sie Tönebön am See – eine in Deutschland einmalige Einrichtung für Demenzkranke.
Hier soll so viel wie möglich an zu Hause erinnern. Die Bewohner stehen auf, wann sie wollen und entscheiden selbst, wie sie den Tag verbringen. Sie kaufen in "Töneböns Minimarkt" ein und kochen gemeinsam in ihrer Wohngruppe. Die Bedürfnisse der Bewohner haben Vorrang vor dem Zeitplan der Pfleger.
Wilma Dohmeyer, die 82-Jährige, wird in der Gesangsstunde plötzlich unruhig und strebt mit ihrem Rollator zum Ausgang. Sie müsse nun dringend nach Hause, ihre Kinder kämen von der Schule, und die Kleinste bräuchte ihr Fläschchen. Nur widerstrebend lässt sie sich beruhigen. Die Betreuer sagen ihr nicht, dass ihre fünf Kinder längst erwachsen sind. Sie lenken sie ab, der Bus käme erst in einer halben Stunde, und sie habe noch Zeit für einige Lieder.
Dieter Jorek läuft jeden Tag 50 Runden im großen Garten des Innenhofs. Schon immer ist er gerne gewandert, und er glaubt, er sei zur Kur hier. Tatsächlich wirken die Flachbauten am Rande Hamelns wie eine freundliche Ferienanlage.
Rund 50 Demenzkranke wohnen in Tönebön. Es gibt ein Haupthaus mit Rezeption, einen Supermarkt, einen Friseur und ein Café. Die vier Wohnhäuser tragen Namen wie "Villa am Reiterhof" und "Villa am See". Im Demenzdorf sind alle Türen unverschlossen, die Bewohner können einander besuchen und im Garten spazieren gehen. Alle Wege führen auf den runden Dorfplatz, so dass niemand in einer Sackgasse landet. Die Einrichtung war anfangs nicht unumstritten. Es gab auch Stimmen, die kritisierten, dass ein Zaun die Abgrenzung der Kranken vom Rest der Gesellschaft fördere. Frau Dohmeyers Tochter ist glücklich, dass ihre Mutter hier betreut wird. Aus dem Pflegeheim, in dem sie zuvor wohnte, ist sie oft weggelaufen. Angst hat die Tochter nur vor dem Moment, wenn ihre Mutter sie eines Tages nicht mehr erkennt.
Es ist die Geschichte eines ungewöhnlichen Projekts, eines noch jungen Experiments im Umgang mit Demenzkranken.