Gemeinschaftsrecht für Pokemon
Brüssel/Berlin, 19.06.2003 um 16:14
Die EU-Kommission hat ein förmliches Verfahren gegen Topps, einen Hersteller von besonders bei Kindern beliebten Aufklebern und Karten, eingeleitet. Vorgeworfen wird dem Unternehmen die Behinderung des grenzüberschreitenden Handels mit Produkten, auf denen Abbildungen der Charaktere der Zeichentrick-Serie Pokemon angebracht sind. Die Kommission hatte festgestellt, dass die berühmten kleinen Pokemon-Karten, die Topps aufgrund einer Lizenz des Markeninhabers Nintendo(1) vertreibt, während des von dem Verfahren erfassten Zeitraums in Finnland zweieinhalb mal so teuer waren wie in Portugal. Von der Kommission beigebrachtes Beweismaterial zeigt, dass Topps und seine Vertriebshändler mittels einer ausgefeilten Strategie Einfuhren aus Niedrigpreis- in Hochpreisländer zu verhindern trachteten und damit den Wettbewerb im Binnenmarkt der EU zum Schaden der europäischen Verbraucher verzerrten.
Wie das für die Wettbewerbspolitik zuständige Kommissionsmitglied Mario Monti betonte, "führen Vereinbarungen und Verhaltensweisen, die den grenzüberschreitenden Handel behindern sollen, zu künstlich hohen Verbraucherpreisen und verstoßen gegen die Kartellvorschriften. Die Kommission hat diese rechtswidrigen Praktiken in der Vergangenheit verfolgt und wird dies auch künftig mit Nachdruck tun".
In dieser Kartellsache geht es um eine Reihe von Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen, mit denen Topps Europe Ltd zusammen mit drei weiteren europäischen Tochtergesellschaften der US-Gesellschaft Topps Company Inc. sowie einem Großteil seiner Vertriebshändler in Großbritannien, Italien, Finnland, Deutschland, Frankreich und Spanien "ein vollständiges Verbot von Ausfuhren" aus Niedrigpreis- in Hochpreisländern durchsetzen wollte, wie Topps Europe zugab.
Dieses Verhalten, das in der an fünf Unternehmen des Topps-Konzerns gerichteten Mitteilung der Beschwerdepunkte ausführlich beschrieben wird und augenscheinlich während des größten Teils des Jahres 2000 praktiziert wurde, bewertet die Kommission als besonders schwerwiegenden Verstoß gegen Artikel 81 des EG-Vertrags. Ausgelöst wurde die Untersuchung der Kommission durch eine Beschwerde aus diesem Jahr.
Die wettbewerbswidrigen Maßnahmen galten Sammelkarten und -aufklebern mit aufgedruckten Pokemon(2)-Figuren.
Topps hatte die Lizenz zur Verwendung von Pokemon für die Herstellung von Sammlerobjekten von dem japanischen Unternehmen Nintendo erhalten, das über die Markenrechte verfügt.
Das Sammeln und Tauschen von Aufklebern und Karten insbesondere mit Abbildungen von Film- oder Comichelden oder Sportlern ist unter jungen Verbrauchern ein beliebtes Hobby. Diese Produkte werden zumeist in kleinen Packungen mit mehreren Exemplaren in Süßwaren- oder Zeitschriftenläden zum Verkauf angeboten und von Kindern mittels ihres Taschengeldes erworben.
Im Europäischen Wirtschaftsraum wurden für Aufkleber, Karten und andere Sammelobjekte für Kinder im Jahr 2000 nach Schätzungen der Kommission mehr als 600 Millionen Euro ausgegeben.
Im Herbst 1999 explodierte auch in Europa die Nachfrage nach Pokemon-Karten. Die von Topps seinen EU-Vertriebshändlern in Rechnung gestellten Preise wiesen von Land zu Land erhebliche Unterschiede auf; französischen Vertriebshändlern wurde für die gleichen Mengen ein doppelt so hoher Preis abverlangt wie den spanischen Vertriebshändlern. Der größte Unterschied (243
wurde beim Vergleich der Rechnungspreise für finnische und portugiesische Händler festgestellt; letztere bezahlten insgesamt den günstigsten Preis. Die Preisunterschiede schafften die Voraussetzungen für Paralleleinfuhren, durch die für ein bestimmtes Land gedachte Produkte in einem anderen Land auf den Markt kommen.
Nach den eindeutigen Beweisen und ausführlichen Angaben, die die Kommission in ihrer Akte zusammengetragen hat, bezog Topps seine Zwischenhändler im Jahr 2000 in eine Strategie ein, mit der Groß- und Einzelhändler in Staaten, in denen die Pokemon-Produkte zu einem relativ hohen Preis verkauft wurden (z.B. Finnland, Frankreich), daran gehindert werden sollten, diese Produkte aus Ländern mit einem niedrigeren Preisniveau (z.B. Spanien, Portugal, Italien) einzuführen.
Um diesen Parallelhandel zu verhindern, bat Topps seine Vertriebshändler wiederholt um Mithilfe bei der Rückverfolgung von Paralleleinfuhren und Überwachung des Endbestimmungsorts der Pokemon-Produkte. Händlern, die sich nicht an diese Vertriebspolitik hielten, wurden mit Kürzung der Lieferungen gedroht.
Aufgrund dieser rechtswidrigen Aufteilung des europäischen Marktes waren Familien in Ländern mit einem hohen Preisniveau gezwungen, mehr Geld für diese Produkte auszugeben, als sie es bei einer freien Entfaltung der Wettbewerbskräfte hätten tun müssen.
Nachdem Topps im November 2000 von der Kommission ein Auskunftsverlangen erhalten hatte, sicherte das Unternehmen zu, seine Vertriebspolitik mit den Wettbewerbsregeln in Einklang zu bringen. Es liegen keine Anhaltspunkte für ein wettbewerbswidriges Verhalten des Unternehmens nach diesem Zeitpunkt vor.
Einschränkungen des Parallelhandels verstoßen gegen Artikel 81 des EU-Vertrags. Die Erfahrungen haben gezeigt, das Parallelhandel zu Effizienzgewinnen und niedrigeren Preisen in der EU führt und somit für die Verbraucher von Vorteil ist.
Die Mitteilung der Beschwerdepunkte bildet den ersten förmlichen Verfahrensschritt in Kartellfällen. Die Unternehmen verfügen über eine Frist von zwei Monaten für eine schriftliche Erwiderung und sind berechtigt, darüber hinaus eine mündliche Anhörung zu beantragen.
(1)Nintendo ist von dem Verfahren nicht betroffen.
(2)Bei Pokemon handelt es sich ursprünglich um ein 1996 für die Videospiel-Konsole "Game Boy" von Nintendo entwickeltes Spiel. Pokemon ist der Oberbegriff für die 250 Charaktere des Spiels (Pikachu etc.), deren Bilder u.a. auch auf die Karten aufgedruckt werden.